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Zeitschrift BALANCE•  Auferstehungsleicht

Heft 1/2016

Auferstehungsleicht                                 Zusatztexte zum Heft

    

Auszug aus dem Artikel: Sich gehen lassen          

von Pierre Stutz            

„Wir haben aus unserem Leben eine Turnübung gemacht. Wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt sein will …“, schreibt die Sozialpädagogin und Mystikerin Madeleine Delbrêl (1904-1964) in Paris (…)
 Wie viele andere mystische Menschen entdeckt sie in der Symbolkraft des Tanzes die Ermutigung, im Heute, im Augen-Blick, zum Leben zu erwachen. Mitten im Schönen, in der Lebenslust und sogar im Schwierigen, im Weinen und Schreien, können uns Momente geschenkt werden, in denen wir voll da sind und ganz weg: Selbstbewusst-leibhaft ganz gegenwärtig sein in größter Selbstvergessenheit. Auferstehung hier und jetzt. Nichts gegen Turnübungen, antworte ich Madeleine. Seit ich jeden Morgen meine Yoga- und Qi Gong-Übungen als Meditation gestalte, habe ich keine Rückenschmerzen mehr. Trotzdem mag ich ihre Ermutigung, weil wir ja immer wieder in Gefahr sind, uns sogar krampfhaft entspannen zu wollen!(...)

Seit über 45 Jahren gehe ich zwei- bis dreimal pro Monat ins Kino und seit über 25 Jahren – nach einer zweijährigen Burnout-Zeit – bin ich in einem Dialog mit mystischen Frauen und Männern, weil ich in vielen kleinen Film-Momenten und in uralt-aktuellen Lebensweisheiten eine Bestärkung entdecke, mich nicht mehr leben zu lassen, nicht im Gedankenkarussell und im Hamsterrad gefangen zu bleiben. Wenn es mir gelingt, ohne groß nachzudenken, eine Verbindung zwischen einer Filmszene und einem tiefen mystischen Vertrauenswort zu erahnen, dann erfahre ich eine kraftvolle Sternstunde, happy hour! Am intensivsten wird dies in einer kleinen Filmszene im Kinofilm „Billy Elliot“ (2000) von Stephen Daldry sichtbar. (…)

Der elfjährige Billy wird nach einem schwierigen Prozess des Vortanzens am Royal Ballet gefragt, was er denn fühle beim Tanzen. Was für eine Frage, zuerst verstummt er! Dann stammelt er: „Keine Ahnung. Ein ganz gutes Gefühl. Zuerst ist alles steif, aber wenn ich loslege, dann vergesse ich alles und irgendwie verschwinde ich, als würde sich mein ganzer Körper verändern, als wäre Feuer in meinem Körper. Ich bin einfach da und fliege, wie ein Vogel, wie Elektrizität.“ In diesen wenigen Worten verdichten sich zentrale Aspekte eines spirituellen Kreuz- und Auferstehungsweges (...)

„Ich bin einfach da und fliege …“
Endlich einfach da sein dürfen, endlich einfach leben dürfen, „ohne Warum“ (Meister Eckhart“), heißt meine große Sehnsucht. (…)
Lass dich gehen, lass dich tanzen, lass es schreiben, kochen, schwimmen, küssen, lachen und weinen. „Echtes Leben ereignet sich, wenn wir mit anderem beschäftigt sind“, schreibt John Lennon. Kürzlich erlebt beim Besuch des Europaparkes Rust, zu dem mich die Nichten und Neffen meines Lebenspartners „geschleppt“ hatten. In einem kleinen Seitenweg sprudelte unerwartet durch einen Rohrbruch Wasser aus dem Boden. Im Nu waren ein paar Kinder da, die allen teuren Bahnen zum Trotz sich durch das Urelement Wasser zum freien Tanzen bewegen ließen. Die Kleinen waren einfach da, kurz vor dem Abflug … Dann der Ernst des Lebens: Eine Mama nimmt ihre beiden Kinder schroff beiseite und brüllt sie an: „Kommt, wir müssen weiter, wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier!“ Ich habe mich gekrümmt vor Lachen und mich gefreut, dass die Kinder sich nicht beirren ließen und zum Wasser zurückgekehrt sind … Vergessen wir nicht die List des heiligen Geistes, die unsere Programmiertheit aufbricht, dem Leben zuliebe.


Pierre Stutz, Theologe, spiritueller Begleiter und Autor vieler erfolgreicher Bücher zu einer beseelten Lebenspraxis – www.pierrestutz.ch – lebt in Lausanne. In seinem neuesten Buch „Geh hinein in deine Kraft. 50 Film-Momente fürs Leben“ (Herder 2. Auflage 2016) vertieft er kleine Filmszenen – auch für jene, die die Filme nicht gesehen haben - als Bestärkung, seinen ureigenen Weg zu wagen und zugleich solidarisch zu bleiben.

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