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Zeitschrift BALANCE•  Dis-Tanz

Heft 2/2020

Zusatztext: Übersetzung Originalartikel Lorraine Pratt

 

Leseprobe aus dem Artikel von Gerhard Krautloher

Das Spiel mit Nähe und Distanz im Tango Argentino
und in anderen Bereichen des Lebens.                                     
                       

Der Tango Argentino ist nicht zu verwechseln mit dem Tango, wie er in Tanzschulen gelehrt wird. Dieser europäische Tango wurde erfunden, weil der argentinische für damalige Verhältnisse zu intim war. Der „europäische“ Tango ist also eher ein Verwandter 6. Grades als ein Bruder zum argentinischen. Die Ausführungen in diesem Artikel können deshalb auch nur zum Teil auf diesen Tango angewendet werden, ebenso gilt das für andere Paartänze. (…)

Ich bin eher ruhig wortkarg. Beim Tango werde ich zu einem enthusiastischen Erzähler. Warum das so ist versuche ich Ihnen in dem Beitrag näher zu bringen. (…)

Tango ist ein Improvisationstanz, in dem man sich zeigen kann – und auch soll. Für mich ist er ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Darin kann ich mich einsilbig über das Wetter unterhalten oder lebhaft über emotionale Themen. Im Tango sind alle „Gesprächsarten“ möglich in unterschiedlichen Tanzhaltungen. Es gibt hier keine feste Vorgabe, sondern eher Vorschläge, wie der Herr seine Führungshand zu halten hat und seine rechte Hand, die Dame ihre Linke. Es sollte sich gut anfühlen und bequem sein, das ist die oberste Maxime. (…)

Mit diesen Besonderheiten bietet der Tango Argentino viele Möglichkeiten zum Spiel mit Nähe und Distanz auf der räumlichen und der emotionalen Ebene. Jede dieser Ebenen ist in einem Tanz in unterschiedlichen Anteilen enthalten je nach der Beziehung der Tänzer zueinander, ihrer emotionalen Verfassung und vielen anderer Faktoren. Jeder Tanz ist anders. Sogar die Tänze mit ein und demselben Tanzpartner sind mal so, mal so. Hat man bei einem Tanzabend einen magischen Tanz, kann es beim nächsten Mal mit dem gleichen Tanzpartner frustrierend „normal“ sein. Man geht hier also öfter durch ein Wechselbad der Gefühle, für mich einer der Hauptgründe, Tango zu tanzen. Weil er in meinen Augen ein Abbild des Lebens ist mit seinen Höhen und Tiefen.

Der Tanz scheint die Regeln für den richtigen Abstand zweier Menschen außer Kraft zu setzen. Nähert sich mir im "normalen Leben" langsam ein Mensch, dann wird sein Näherkommen unter einem gewissen Mindestabstand unangenehme Gefühle bei mir hervorrufen. Ich fühle mich in meinen Grenzen verletzt. Der Abstand, in dem diese "Grenzverletzungs-Gefühle" entstehen hängt unter anderem davon ab, wie wir zu dieser Person stehen, die sich uns nähert, wie sympathisch sie uns ist, in welcher Beziehung wir zu ihr sind. (…) Bei den Tänzen wie dem Tango Argentino oder beim freien Tanz (…), die mit unterschiedlichen, streckenweise auch unbekannten Tanzpartnern getanzt werden, ist es nötig in diese "intime Zone" zumindest mit den beiden Händen "ein zu dringen". Warum führt dies bei den Tanzpartnern nicht zu einem Gefühl der Grenzverletzung? Meine Vermutung ist, dass für diesen einen besonderen Fall eine Art "stille Vereinbarung" zwischen den Tanzenden getroffen wird, die es beiden erlaubt, die Distanz zu überbrücken und in einen Kontakt zu gehen. Diese "Vereinbarung" beinhaltet Regeln, was der andere tun darf bzw. auf keinen Fall tun soll, um das Gefühl der Sicherheit bestehen zu lassen.

Partnerschaften leben auch von dem richtigen Verhältnis zwischen Komfortzone und Herausforderung, Nähe und Distanz. Eine dauerhafte große Nähe wird sie ebenso einschlafen lassen wie eine zu große Distanz. Aus dem Spannungsfeld zwischen typisch männlichen und typisch weiblichen Eigenschaften ergibt sich zwangsläufig Potenzial für herausfordernde Meinungsverschiedenheiten. Diese sind das Salz in der Suppe einer jeden Beziehung. Und in manchen Fällen auch der Pfeffer, der uns zu unverhofften erotischen Höhenflügen verhilft. Damit diese Höhenflüge entstehen können, ist eine kurzfristige Distanz in Form z.B. eines Streits unabdingbar. Aber auch eine räumliche Distanz kann anregend wirken und einer Partnerschaft neue Lebendigkeit geben. (…)

 

Ferne zwischen Dir und Mir
und die Zäune der Zeit.
Aber wenn deiner Gedanken
suchende Helle
mich findet,
blühen in meiner Seele
die Blumen der Nähe auf.

Erika Beltle

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